Ob Großfamilie, Singlehaushalt oder WG – in welchen sozialen Konstellationen wir heute leben, ist vielfältig und verändert sich im Laufe unseres Lebens. In den letzten Jahren ist sogar von digitalen Nomad:innen die Rede, die zur Verrichtung ihrer Arbeit fast ausschließlich digitale Technologien anwenden und ein ortsunabhängiges, multilokales Leben führen.

Auch am Ende der letzten Eiszeit waren die Menschen in Europa mobil. Im Laufe eines Jahres schlugen sie ihr Lager an verschiedenen Plätzen in einer Region auf, um Nahrung und Werkstoffe zu erlangen. Im SFB 1266 untersuchen wir, welche Auswirkungen diese Lebensweise auf ihr soziales Miteinander hatte.

Pionier:innen am Ende der Eiszeit

Am Ende der letzten Eiszeit, ca. 12.700 Jahre v. u. Z., sah Nordwesteuropa anders aus als heute. Die Nordseeküste verlief zwischen Schottland und Norwegen, eine weite Ebene erstreckte sich zwischen Insel und Kontinent. Helgoland war fast trockenen Fußes zu erreichen. Zu dieser Zeit änderte sich das Klima deutlich, es wurde wärmer und feuchter auf der Nordhalbkugel. Im nordeuropäischen Flachland dominierten Gräser und Kräuter noch die Pflanzenwelt, denn die Böden mussten sich erst wieder entwickeln.

Am Nordrand der Mittelgebirge veränderten die Menschen, deren Hinterlassenschaften Archäolog:innen als Magdalénien bezeichnen, ihre Lebensgewohnheiten oder wanderten ab. In das nördlich angrenzende Flachland kamen nach langer Zeit erstmals wieder Menschen. Ihre Werkzeuge, Jagdwaffen und Methoden zu deren Herstellung erinnern deutlich an das Magdalénien und werden als Hamburger Kultur bezeichnet.

Familienidylle an der Seine

Kinder, die zwischen Zelten herumlaufen, Erwachsene, die am Lagerfeuer sitzen. Was sich wie ein Ferienidyll auf dem Campingplatz anhört, beschreibt eine Szenerie vor rund 15.900 Jahren am Seine-Ufer. Hier im heutigen Étiolles schlugen Menschen ihre Zelte auf, legten Feuerstellen an, stellten Werkzeuge her und zerlegten Jagdwild. Ganz in der Nähe fanden sie riesige Feuersteinknollen von hervorragender Qualität, der Rohstoff für viele ihrer Steinwerkzeuge.

In der Herstellung von Steinwerkzeugen waren sie meisterhaft, doch durchschnittliche Erzeugnisse und Stücke mit vielen Fehlern gibt es genauso. Es waren also auch unerfahrene Steinschläger:innen am Werk, wohl Kinder und Jugendliche. An einer gut untersuchten Feuerstelle saßen die Meister:innen nah am Feuer, während die Gesell:innen in der zweiten Reihe Platz nahmen und die Lehrlinge sich an der Zeltwand drängten.

  • Eine Familie arbeitet in einem Zelt rund um eine der Feuerstellen in Étiolles.

  • Die zentrale Feuerstelle und umgebende Steinstrukturen nach der Freilegung.

  • Idealtypische Feuerstelle in Étiolles mit rekonstruiertem Zelt.

Ausgrabung

  • Die aktuelle Ausgrabungsfläche in Étiolles zeigt zwei Konzentrationen von Feuersteinartefakten (links und rechts).

  • Geophysiker:innen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel führen Bodenradarmessungen in Étiolles durch.

  • Die elektrische Widerstandstomografie wird in Étiolles ebenfalls genutzt, um im Boden befindliche Strukturen aufzuzeigen.

  • Diese Grabungssituation in Alt Duvenstedt zeigt die Hinterlassenschaften eines Feuersteinschlagplatzes.

  • Im nordfriesischen Ahrenshöft wurde eine Feuerstelle der Hamburger Kultur ausgegraben.

Familie heute

Gesellschaft im Miniaturformat

Das Thema Familie betrifft alle Menschen. Von Geburt an ist sie da, lässt Kinder soziales Verhalten lernen und trägt zu ihrer Identitätsbildung bei. Im Laufe des Lebens nimmt jede:r Einzelne verschiedene Rollen innerhalb der Familie ein. Die Beziehungen in einer Familie sind nicht immer harmonisch, sondern bergen auch Konfliktpotenzial. Fehlt die Familie, belastet dies oft das Leben. Kurzum: Familie ist Gesellschaft im Miniaturformat.

Gleichzeitig prägt die Gesellschaft auch unsere Vorstellungen von Familie. Die Kernfamilie der westlichen Industriegesellschaft löste in Europa die Großfamilie der Agrargesellschaft ab. In Gesellschaften mit nomadischer Lebensweise sind, je nach Jahreszeit, Kernfamilien alleine oder in größeren Verbünden anzutreffen. Die soziale Rolle der Familie können auch Personen einnehmen, zu denen keine biologische Verwandtschaft besteht. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurden Patchwork- und Regenbogenfamilien geläufiger und zeigen, wie vielfältig Familie sein kann.